Blues über das Gitarrenspiel

Talking Guitar Blues  

Es war Samstagabend, ich saß vor der Glotze. Im 1. lief Hansi Hinterseer und im 2. die Lustigen Musikanten. Seit ich auf Digital umgestellt hatte, konnte ich nur noch diese Programme empfangen. Ich trat vor Wut gegen den Fernseher, danach war nur noch Schnee zu sehen. Das gefiel mir zwar wesentlich besser, weil ich wusste, dass man darin das Echo des Urknalls sehen konnte, aber nach einiger Zeit fing die Langeweile wieder an. 
Da fiel mir ein, dass Rudi mich zu seiner Fete eingeladen hatte. „Und bring deine Klampfe mit“ hatte er gesagt. Meine Stimmung hellte sich sofort wieder auf.  Ich packte noch schnell einen Schokoladenweihnachtsmann vom letzten Jahr in Geschenkpapier ein. Dann hängte ich mir die Gitarre um den Bauch und machte mich zu Fuß auf den Weg. Unterwegs spielte ich schon mal einige meiner Lieblingsstücke. Passanten grüßten mich freundlich und hübsche Mädchen lächelten mich an. 
Ich war in Höchstform, als ich bei Rudi eintraf. Ich überreichte ihm mein Geschenk. Er bedankte sich herzlich und stellte es zu all den anderen noch verpackten Mitbringseln. Rudi gab mir eine Flasche Bier und zeigte auf einen Hocker, der mitten im Wohnzimmer stand. „Setz dich auf den Hocker da und spiel schon mal was!“ sagte Rudi Ich setzte mich brav und stimmte meine Gitarre auf open D um. 
Ich wollte unbedingt das wunderschöne Stück von Klaus Weiland spielen: „Das Loch in der Banane“, das jeder als NDR-Pausenmusik kennt, mit dem Bild eines Heißluftballons, der malerisch über einer Stadt dahinschwebt. Zwei Jahre lang hatte ich an dem Stück geübt und ich spielte so gut wie nie zuvor in meinem Leben. Vor meinen Augen schwebte der Ballon über die Stadt. 
Offenbar nur vor meinen Augen. Rundherum standen die Partygäste und unterhielten sich laut. Für Fingerpicker keine Chance, Gehör zu finden. Ich spielte verbissen weiter, bis Willi mir auf die Schulter klopfte. „Hey Alter, du bringst das nicht“, sagte er forsch und nahm mir die Gitarre ab. Er nahm auch meinen Platz ein und legte los. Willi konnte zwei Lieder spielen: „Blowing in the wind“ und „Marmor Stein und Eisen bricht“. Weder er noch das Publikum merkten, dass die Gitarre noch in D gestimmt war. Die Gäste fingen augenblicklich an, mitzugrölen. Da alle nur die 1. Strophe auswendig kannten, wiederholten sie diese immer wieder. 
Willi haute immer mehr in die Seiten. Eine nach der anderen riss, bis nur noch die tiefe E-Seite übrig war, gestimmt in D. Mir kamen die Tränen. Marion sah meine Tränen und versuchte mich zu trösten: „wenn du noch ein bisschen übst, kriegst du das bestimmt auch hin“. 
Das munterte mich nicht wirklich auf. Nachdem Willi mir triumphierend die Gitarre zurückgegeben hatte, verließ ich das Wohnzimmer, bedankte mich bei Rudi für den schönen Abend und trat den Heimweg an. Vorher ging ich noch kurz in die Küche und nahm mir das am schönsten verpackte Geschenk als kleine Entschädigung und versteckte es in meiner Manteltasche. 
Draußen regnete es. Deprimiert lief ich durch die nassen Straßen, kein Passant nahm Notiz von mir und kein Mädchen lächelte mich an. Plötzlich trat ich auf eine der herunterbaumelnden Gitarrenseiten (es war die G-Seite). Das riss mir die Gitarre vom Hals, ich stolperte und landete in einer tiefen schmutzigen Pfütze. In meiner Manteltasche klirrte es und eine dunkelrote Flüssigkeit ergoss sich über mich. Das so schön verpackte Geschenk war eine Flasche Rotwein gewesen. 
Nie wieder würde ich auf einer Fete Gitarre spielen! 
 
Musik und Text: Gerd Kramer